Netzwerkarbeit in der Soziokultur

 

Soziokulturelle Zentren als Kerne für Netzwerkarbeit – das ist nicht neu, ist im Grunde von Anbeginn für die meisten Zentren Ausgangspunkt ihrer kreativen Arbeit gewesen, den Zugang zu allen Bereichen der Kultur für jeden zu ermöglichen. Aus heutiger Sicht betrachtet könnte man es als ein Stück sozialer Quartiersarbeit mit Hilfe der Kultur als Verbindungsglied betrachten, die Zentren waren städtisch, lagen meist in sozialen Brennpunkten und waren mit ihrer basisdemokratischen Organisation die Vorreiter für bürgerschaftliches Engagement, wie es heute ohne diese Geschichte nicht möglich geworden wäre.

Wir haben gelernt, uns Zugang zu verschaffen zu allen Formen kreativen Denkens und Handelns, weil wir uns befreit haben aus etablierten Definitionen von Kultur und radikal Regeln über Bord geworfen haben. Kein Taktieren und keine antizipierende Unterwerfung unter mögliche Sachzwänge waren das damalige Credo, aber eine unglaubliche Solidarität und ein grenzenloses Engagement, das auch bis zur Aufgabe eigenen (privaten) Lebens führen konnte, nicht wenige haben sich über die Jahre im Nirwana verloren und keinen Boden mehr unter den Füßen bekommen. Immer aber hat eines funktioniert – das Netzwerk. Es war seinerzeit nur nicht mit diesem Begriff benannt.  Gab es politisch begründbare Notwendigkeiten für solidarisches Handeln, so rollte über Telefonketten und „Multiplikations-Events“ jedweder Art  in den definierten Kreisen eine Welle der gemeinsamen Aktivität an, die den neuerlichen Social-Media Effekten in nichts nachsteht. Das Netzwerk funktionierte.

 

Netzwerkgesellschaft

Heute leben wir in gänzlich anderen Zeiten – die große gesellschaftliche Transformation ist allgegenwärtiger Maßstab und Zielrichtung für Diskussionen um Innovation und ihre Machbarkeitsanalysen. Die Komplexität selbst gesellschaftlicher Teilbereiche ist kaum noch zu erfassen, die tägliche Informationsflut dient schon längst nicht mehr dem Wissenstransfer und der Datenmüll erfordert Wegweiser und Spezialisten zur Bewältigung.

In diesem Kontext erscheint ein Netzwerk entweder als absurde Komplikation in einer multiplen Gesellschaft oder als Lösungsweg für kleine Einheiten in großen sozialen Strukturen. Bevor hier eine Entscheidung getroffen werden kann, lasst mich kurz einen Exkurs über die Netzwerk-Definitionen machen.

Bereits seit 1996 wird in  der Wissenschaft (Manuel Castells) von einer Netzwerkgesellschaft gesprochen, und dabei war die Rolle des Internets in ihrem ganzen Ausmaß für die Veränderung der Gesellschaft noch nicht absehbar. Aber Trends wie Individualisierung – Dezentralisierung - Flexibilisierung und Globalisierung waren schon Kennzeichen der laufenden Prozesse und haben die Entfremdung der Menschen im sozialen Kontext bereits geprägt. Netzwerke sind in diesem Rahmen ein wirkungsvolles Instrument zur Steuerung durch den neu entstandenen virtuellen Raum.

Netzwerke lassen sich aus verschiedenen Perspektiven verstehen:

  1. aus der individuellen Ebene. Die Social Media als Beziehungs-Netzwerke haben gegenüber den  Face-to-face-Kommunikationen der Vergangenheit scheinbar nur Vorteile, lassen aber  in Netzwerk-Analysen eine Fülle von nachteiligen Veränderungen erkennen. (Individualisierung und Ego-Zentrierung)
  2. aus der gesellschaftlichen Ebene. Interorganisations-Netzwerke werden von (oft strategisch) handelnden Akteuren gebildet, die zur Erreichung von gemeinsamen Zielen Kooperationen bilden. In diesem Netzwerktypus sind Interaktionen, wie sie zunehmend auch in der Soziokultur eingesetzt werden, Erfolgs versprechende Mittel zur Stärkung und Realisierung von Zielen bürgerschaftlicher Teilhabe.
  3. aus der Meta-Ebene. Riesige Daten-Netzwerke, die unsichtbar im Hintergrund eine eigenständige Infrastruktur bilden, die sozialen Akteure beobachten und durch Feedback-Mechanismen auch beeinflussen, letztendlich auch imstande sind, das Gesamtsystem zu steuern.

 

Nutzen für die Soziokultur

Es geht uns hier nicht um Beziehungs-Netzwerke und auch nicht um die Meta-Ebene.Wir wollen uns eher Gedanken machen, wie in der Soziokultur  genau durch die Anwendung dieser aktuellen Analyse-Ergebnisse durch die Interorganisations-Netzwerke ein bisschen mehr Ergebnis erreicht werden kann, wenn wir uns auf die Kernsätze von damals besinnen, die auch heute noch Gültigkeit haben: Soziokultur ist Kultur für alle (Hilmar Hoffmann) – ist per se politisch und „Kultur ist Soziokultur oder nicht“ (Hermann Glaser) beide in 6/18 gestorben.

Wenn heute (endlich) wieder die Massen auf die Straße gehen, um für Rechte zu kämpfen oder für langfristige Ziele einzutreten, ist das eine neue und alte Form bürgerschaftlichen Engagements, doch heute geht es um mehr, um die Teilhabe.Soziale Gruppen und Initiativen suchen nach Wegen zur Partizipation, um Anteil an den Entscheidungen auf der „Regime-Ebene“ zu nehmen – aktuelle Analysen der sozialen Wissenschaften sprechen von Nieschen-Akteuren und Pionieren, von denen Impulse zur Veränderung ausgehen, um die Machtverhältnisse auf der Regime-Ebene mit einer bürgerschaftlichen Kraft zu ergänzen.

Wie kann diese Netzwerk-Entwicklung in der Praxis aussehen? Wir im KulturBahnhof  haben uns zu Beginn die Bildung eines kulturellen Netzwerkes für Kultur im ländlichen Raum auf die Fahnen geschrieben.  Es wurden die meisten (fast alle) kulturellen Einrichtungen persönlich aufgesucht und wir haben um Unterstützer geworben. Auf diesem Fundament sind eine Reihe von Projekten entstanden und realisiert worden, für die sich im Laufe der Zeit drei strategische Schwerpunkte herauskristallisiert haben: Kultur – Bildung – Inklusion. Diese auf einer Ebene zu verbinden, die möglichst viele zunächst scheinbar widersprüchliche  Anätze vereint. Der Aktionsraum erstreckt sich inzwischen räumlich über drei Landkreise, etliche Schulen und diverse Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen und inhaltlich auf Medienpädagogik, Musik und andere Kultursparten. (Beispiel: Gelbe Musik)

Mit einer Kongressveranstaltung – der „Stadtdebatte“ haben wir neues Terrain betreten, auf  Zielrichtung von Veränderungen in der Stadt, an denen möglichst viele Bürger beteiligt sind, wurden  25 Initiativen und Vereine eingeladen, um in zwei Podien mit Wissenschaftlern und erfahrenen Akteuren aus anderen Regionen (Kiel, Hamburg, Köln, Lübeck) zu diskutieren. Der Erfolg für die Beteiligten war deutlich spürbar: hier ist etwas zusammengewachsen, was in vielen Einzelheiten  längst vorhanden war, die Bürgerbeteiligung.

Ganz viel dazu beigetragen haben durch ihr Mutmachen und viele gute erprobte Ideen vorzustellen sowohl Julian Petrin (Next Hamburg) als auch Davide Brocci, mit dessen Empfehlung wir hier schließen wollen: „Es macht Sinn, neue Wege der Netzwerke zu gehen, Allianzen jenseits der eigenen vordergründigen Interessenslage zu bilden “

 

 

 

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