Preisträger 2019 Bundesverband der Jugendkunstschulen und kulturpädagogischen Einrichtungen (BJKE)        

Gelbe Musik + Blaue Monde

Musik, Hörspiel, Radio: "Gelbe Musik und Blaue Monde" ist ein inklusives Kulturprojekt der Medienkunst. Im Fokus steht das gestalterische Lernen von jungen Menschen mit und ohne Handicap in einem sozialintegrativen und kreativen Prozess der Medienherstellung.

P r o j e k t V e r l a u f

ProjektStart

Nach den zahlreichen Meetings der Einzelgruppen Ende Januar und in der ersten Monatshälfte Februar war es nun soweit: Am Montag, 20. Februar,  trafen alle an der Gelben Musik und Blauen Monde interessierten Teilnehmer das erste Mal gemeinsam im KulturBahnhof Viktoria aufeinander. Erwarteten wir vorsichtig gut 20 mögliche Akteure so trauten wir am Montagnachmittag unseren Augen nicht ob des Andrangs in unseren Räumen und Fluren. Weit mehr als dreimal so viele fanden sich ein - wir sind platt!  Unser Dokumentar und Schnellzeichner Till Lassmann kam kaum hinteran. Unten in den Impressionen sehen wir einige Beispiele seiner Zeichnungen von einem Teil der TeilnehmerInnen.

Verteilt auf die Arbeitsgruppen "Hörspiel", "Musik" und "Radio" wird jetzt die Einzelarbeit aufgenommen. Am 28. Februar bereits der große Cajon-WorkShop. Hier werden die Instrumente gebaut und auch schon gemeinsam musiziert, schließlich stehen schon bald Auftritte in der Öffentlichkeit auf der Straße und während der Itzehoer Woche an. Da muss noch viel getrommelt werden, bis alles wirklich sitzt. Dazwischen Stadtexkursionen und Musik-Coaching - u.a. mit Abi Wallenstein und Cajon-Begleitung - z.B. am 4. April.

Wir dokumentieren auf diesen Seiten den Fortlauf des Projekts. Auch den detaillierten Fahrplan werden wir nach und nach darstellen. Erst einmal gilt es jedoch Freude und Begeisterung nach draußen zu rufen: Es geht los - der Projektstart verlief fulminant - ab sofort sind in unserer Kreisstadt Gelbe Musik unter Blaue Monde zu erleben.

 

Leitgedanken

 

Gelbe Musik & Blaue Monde bietet ein Integrationsszenario für Menschen mit und ohne seelischer Beeinträchtigung. Im Fokus steht das gestalterische Lernen von Menschen mit und ohne Handicap in einem sozialintegrativen und kreativen Prozess zu einem gemeinsamen Medienprodukt: Hörfunk und Hörspiel aus der Perspektive ihres Lebensumfelds. Es ist ein Projekt der Medienpädagogik, Medienkunst und Inklusion - ist aktive Kulturarbeit und inklusive kulturelle Bildung. Finaler Höhepunkt ein "geräuschvolles" Hörspiel.

Gelernt wird fast beiläufig: Erzählen, Zuhören, Recherchieren, Formulieren, Argumentieren, Musik vorstellen, Nachrichten und Klänge erzeugen, Sprechtraining - bisweilen auch lautstark, aber immer nach Regeln und in Arbeitsabläufen eines gewöhnlichen Redaktionsalltags. Die Teilnehmer experimentieren mit Texten, Klängen, Geräuschen und Medien. Der aktive Part "Musik" ist erweitert durch den Instrumentenbau. Gemeinsam gebaut werden Cajons und in WorkShops zum Klingen gebracht. Perkussion als  Instrument und Ausdruck von Selbstwirksamkeit und auch des Narrativen.

Das Projekt ist ein Beispiel aktiver Kulturarbeit und Kreativitätstraining für Teilnehmer mit und ohne Handicap - löst gestalterisch und auditiv über den neuen Kommunikationsraum Radio Disparitäten der Außenwelt und leistet einen Beitrag zur inklusiven kulturellen Bildung in tatsächlich gelebter Inklusion und wiederkehrende öffentlichen Gemeinschaftsauftritt. Kooperatives und kreatives Miteinander schafft sicheren Sozialraum und fördert kommunikative Kompetenz und handlungs- bzw. produktionsorientiertes Lernen.

 

 

Projekttitel

 

"Gelbe Musik" verweist auf eine Musik zwischen allen Stühlen - sie ist nicht genretreu, dafür sehr besonders, einzigartig und übergreifend.

"Blaue Monde" verweist auf die seltene Besonderheit der Zusammensetzung der Akteure. Idiom: " Once in a blue moon" = alle Jubeljahre einmal - sehr selten.

 

ProjektKlang

... ich und mein Holz ...

 

Mit dem String Cajon Bausatz von Pepote stellt das Projekt den Akteure  ein hochwertiges Instrument zur Verfügung, das sich in Material und Spiel-Niveau von der handelsüblichen Bausätzen unterscheidet. Mit der aktuell in Prag ansässigen Susanna Hallmann besuchte uns eine professionelle Cajon-Bauerein, die sofort den richtigen Draht zu den Akteuren fand. Bei diesem Bausatz werden nicht wie üblich gewöhnliche Snareteppiche verbaut, sondern die „Orginal Pepote Metall Strings“ verwendet. Der Korpus aus Birke, die edle Schlagfläche und die von eigens hierfür angefertigten Strings ermöglichen einen überzeugenden Snaresound und einen stimmigen Bass. Die gerundeten Kanten und die hochwertige Verarbeitung aller Materialien sorgen für tolle Haptik und beste Bespielbarkeit. Dieser Bausatz ist nicht im Handel erhältlich.

 

Jetzt erobern sich die Akteure ihr Instrument und lernen in den anstehenden SpielWorkshops den schlaggferigen Umgang mit der klingenden Kiste. Zusätzlich werden jedem Teilnehmer noch ein Lernskript und Playalongs zur Verfügung gestellt. Das ist gut auch für die Fitness in der anstehenden Projektlaufzeit.

... und kein bisschen leise ...

 

Die Vorfreude war so groß, dass die Akteure des Cajon-Workshops bereits vor der Zeit im KulturBahnhof Viktoria am 28. Februar zum Cajon-Bau eintrafen. Der Aufbau und die letzten Vorbereitungen liefen noch in den Werkstatträumlichkeiten der Brücke auf der anderen Straßenseite, als unser Obertrommler-unter-Gleichen Martin Röttger die ersten Rhythmuslektionen mit den jungen Akteuren absolvierte. Es waren "Trockenübungen" - ohne Instrument, dafür mit stampfenden Füßen und klopfenden Händen und lauten Stimmen - erst unisono, dann im Kanon, am Ende in Ekstase. Noch nie gehörter Alarm im Bahnhof! Ein Wahnsinnsgefühl für unsere Projektteilnehmer, die sonst doch eher still  und abwartend agieren. Auf einmal ganz neue Dimensionen einer unmittelbaren Selbstwirksamkeit, die auch uns als Begleiter nicht mehr aus dem Kopf geht. Sensationell. Und es sollte sich noch an den Werkstatttischen wenig später nach dem Instrumentenbau steigern. Hier blieb dann niemand auf den Stühlen.

Während im Erstkontakt die Cajon-Gruppe sich lautstark durch die Lektionen trommelte und für sich eine ganz neue Methode erprobte, sich - sozusagen aus dem Bauch heraus - intensiv zu empfinden und auszudrücken, versuchten sich im benachbarten Studio Anika und unser nicht sehender Akteur Mirco  bereits an Mikrophonen und  Aufnahmetechnik für die anstehenden Worte und Sounds des gemeinsamen Hörspiels. Hier wird in Kürze das Storyboard gestaltet, in verteilten Rollen eingesprochen und die szenische Abfolge choreographiert.

 

 

Am 2. März 2017 sind wir um 16.30 Uhr erstmals und ganz zaghaft den Blauen Monden begegnet -  während die Musik zeitweise ihre gelbe Farbe bereits angenommen hat. Weiter sagen!

ProjektTechnik

Der erste große Technik-WorkShop am 7. März im Studio des KulturBahnhofs Viktoria hatte es in sich. Auf der einen Seite heiß gelaufene Akteure, die nun wissen wollten, wie das, was klingt, durch eigenes Dazutun auch zum Klingen gebracht werden kann. Und auf der anderen Seite eine komplexe Technik, die noch lange nicht einfach das tut, was man so will, um die Klänge festzuhalten, aufzuzeichnen und zu gestalten. Und ein Mikrophon ist noch lange kein gutes Mikrophon, wenn man nicht weiß, wie es Laut und Louise unterscheiden kann.

 

Doch ohne Einweisung ins Mikrophon Sprechen ging natürlich nichts. Anwendung und Techniken wurde schnell von unseren Akteuren angenommen. Dabei konnten gerade diejenigen besondere Erfolge für sich verbuchen, die sich nicht gleich für ein Einsprechen vor der Gruppe - vor Publikum also - entschieden. Nach ersten nicht so glücklichen Interviewversuchen besprachen sie sich mit unserem Techniker und hatten dann die Gelegenheit, sich noch einmal nur mit ihm vor den Mikrophonen im Studio zu versuchen. Auf einmal weg der Stress - die ersten Versuche vor dem Mikrophon glätteten sich von jedweder Anspannung.

 

Vertraut und fit

Ein Studio kann schnell zum Irrgarten der Möglichkeiten werden. Der erste Technik-WorkShop des Projekts gab Gelegenheit, unsere heterogene Trruppe an Interessierten mit einer durchaus komplizierten Studiotechnik (Software + Hardware) für erste eigenständige Tonaufnahmen vertraut und dann fit zu machen. Dies geschah anfangs in Kleingruppen, die sich später zu einer großen Gruppe zusammenfanden, nachdem erfolgreich Atem- und Sprechübungen zur Anwendung kamen.

 

 

Heiter bis lustig

Allesamt Lockerungsübungen mit sehr hohem Spaßfaktor. Erst wurde die Schüchternheit überwunden, dann herzhaft und lange gelacht und schließlich improvisierte Interviews miteinander wie bei den Profis in Echtzeit aufgezeichnet. Das anschließende gemeinsame Abhören geriet dann abermals in eine große Heiterkeit, haben die Akteure doch mehrheitlich noch nie die eigene Stimme aus den Lautsprechern gehört.

 

 

Nächstes Level

Eine sehr gute Voraussetzung für die ersten StadtExkursionen in der anstehenden Woche. Hier gilt es dann ein nächstes Level an Herausforderung zu meistern: Ausgestattet mit Mikrophonen werden Begegnungen mit fremden Passanten auf der Straße und in Geschäften gesucht. Die jungen Akteure probieren sich aus auf fremdem Terrain, außerhalb ihres Schutzraumes jetzt in der Öffentlichkeit. Die Technik, die sie bereits sicher anwenden können, wird ihnen dabei helfen.  

 

ProjektGroove

Hat sich die Hörfunkgruppe durch Einführung und erste Studioanwendungen in Techniken des Radiomachens "eingefühlt" - jetzt steht mit den Stadtexkursionen die intensive Phase der Fieldrecordings an - so drehen erstmals unsere Freunde des gepflegten Klangs mit ihrer Musik tüchtig auf. Neben der reinen Cajon-Gruppe, die ausschließlich trommelt, hat sich jetzt die interkulturelle und interinstrumentelle Musikgruppe mit Teilnehmern aller Klangkörper eingegroovt.

Da hören wir Flamenco-Gitarren, gespielt von Akteuren aus dem Irak, Itzehoe, Wilster und Wacken - dazu eine Violine aus Syrien, Trommeln aus Afrika, aber auch ganz Gedanken versunken und fernab der Alltagsordnung ebenso aus Wellenkamp und Sude. Und nicht zu vergessen die Keyboardtöne - gespielt von TastenAkrobaten, die immer schon mal Musik machen wollten aber noch nie die Gelegenheit hatten, ein Tasteninstrument zu bedienen. Premiere - Premiere! Was für ein Klangerlebnis. Natürlich wird auch gesungen. Aber wie wird das alles erst klingen, wenn die Hörspielgruppe auf unsere Klangkünstler trifft, wenn Radiophonie der Musik die Redaktion gibt - wenn selbst entworfene Sendungen aller Akteure dem Integrationsraum Radio ein neues Format verpassen?! Das Projekt wird gelber und blauer mit jedem Tag. Schon bald wissen wir mehr.

Eindruck vom Ausdruck

Auf der Suche nach den ersten Antworten auf die grundlegenden Fragen, weshalb wir eigentlich Musik machen und was wir dabei fühlen - jeder für sich und zusammen bei unserem Projekt Gelbe Musik und Blaue Monde: Hierbei spüren wird durchaus dem nach, was die moderne musikpsychologische Forschung als tönenden Ausdruck und Auslöser zum subjektiven musikalischen Eindruck unterscheidet.

Der große Reiz an unserer Projektgruppe ist deren total heterogene Zusammensetzung,  die durch die sehr unterschiedlichen Musikanten zwar individualisiert aber als ganzer Klangkörper bereits klingt wie die "tönende Wochenschau" der GMBM. Das Oberspannende jedoch ist der gemeinsame "Schöpfungsakt" - das Ein- und Erspielen der eigenen Komposition, indem die Akteure selbst den Ausdruck ihrer Musik aktiv erzeugen, der dann Woche für Woche den subjektiven Eindruck in jedem selbst bewirkt.

Wem das zu theoretisch ist, noch einmal anders gesagt: Hier macht eine verschworene Gruppe unerfahrener aber sensibler Musikdebütanten mächtig Alarm, bringt diesen auch zum Wohlklang, und haut dabei immer die eigenen Gefühle der ganzen Woche raus - im Einzelfall auch mehr. Und das in einer bisher unerhörten Besetzung von kaputtem Keyboard, Gitarren und Cajons, Violine und Afrikanische Trommel - nicht zu vergessen die Blockföte. Hinzu stoßen ganz neu jetzt noch ein Cello und ein quietschbuntes  Kinderakordeon.

 

Das ist GMBM pur - expressive Musik, manchmal unscharf aber immer einzigartig - endlich richtig gelb klingend unter blauen Monden ... Die ausgebildete Musikerin und renommierte FAZ-Redakteurin Eleonore Büning hat für ein solches Erlebnis einmal folgende Worte gefunden:

 

„Ein Feuerwerk aus Licht und Glanz und purem C-Dur bricht aus, pünktlich stellen sich alle Nackenhaare auf.

Die Welt ringsum ist versunken, oder sie fliegt an dieser Stelle in die Luft.“

Das ist GMBM-Poesie - besser geht nicht.

 

Achtung - unbedingt vormerken: Konzertantes MusikCoaching am 4. April um 18 Uhr mit Abi Wallenstein!

 

... und doch am Mississippi

 

Itzehoe hat nicht viel bis gar nichts mit Baumwolle zu tun. Die  Sommer hier dauern nur kurz und oftmals nicht länger als die Aktionspreise für Grillkohle und Mariniertes. Und danach riecht dann die Luft - auch nach schwerem Parfüm, fauligem Störwasser und Fahrzeugabgasen der Lastkraftwagen und landwirtschaftlichen Traktoren, die immer noch durch die Innenstadt brausen. Und wenn die Stör tatsächlich mal überschwappen sollte, dann würde man am Mississippi über die Aufregung der Störstädter wohl nur lächeln.

 

Nur wenn Abi Wallenstein seine Gitarre spielt ist alles anders, auch wenn er auf der Straße singt. Dann regieren in seinen Liedern die Bienenkönige, dann lädt der Palast des Königs ein, dann winkt die Sugar Mama an jeder Straßenecke - und die erwachsenen BluesFreaks schwärmen von sanften Kätzchen anstelle übler Katerstimmung am nächsten Morgen.

 

Letzteres ist natürlich für unser Projekt unerheblich, denn sein Verlauf will die Jugend ins Zentrum bringen - ganz selbstbewusst und mit inklusiver Absicht. Aber dennoch liegt Itzehoe wenigstens zeitweise am Mississippi - am 4. April trifft das zu, wenn Abi Wallenstein, Blues-Urgestein und Straßenmusiker der ersten Stunde,  unsere Projektakteure besucht und dadurch zum Gelingen der Gelben Musik und Blauen Monde beiträgt. Begleitet wird seine Musik von Cajons - von eben diesem Musikinstrument, das unsere Akteure gerade gebaut und spielen gelernt haben. Zudem ein Versprechen, dass Gäste und Hörer sogleich nicht nur ohne es recht zu bemerken, mit den Füßen auf den Boden stampfen, die Hände aus den Taschen zum  Mitklatschen holen, sondern auch bald nicht anders können als nur noch mitzusingen. Auf unsere Akteure wartet ein einzigartiges konzertantes MusikCoaching. Alle - aucn wenn sie nicht Projektteilnehmer sind - sind herzlich eingeladen am Dienstagabend. 4. April,  ab 18 Uhr zu einem Musikereignis der besonderen Art.

Flyer konzertanter Workshop 4.4.17
Fyer AbiKonzert.pdf
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Plakat signiert
Abi + Akteure.jpg
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CajonAllstarsRhythmTrainSuperGroup

"Wir sind der Zug, auf den Abi aufspringt", stimmt Obertrommler Martin Röttger unsere "Itzehoe Cajon Allstars" ein. Eifrig geprobt haben sie drüben in den Räumen vom KulturBahnhof Viktoria, bevor sie jetzt endlich im Bibliothekssaal der "AltenHelden" auf der anderen Straßenseite erstmals als eigenständiges Ensemble sich der Öffentlichkeit präsentierten. Sie gaben den Rhythmus vor, auf den der Sänger und Gitarrist Abi Wallenstein einstieg, überwanden ihre Scheu ganz schnell und konnten gemeinsam eine neue Qualität an Selbstwirksamkeit erleben - das ist das erklärte Ziel des Kultur- und Inklusionsprojekt Gelbe Musik + Blaue Monde.

Zwischenbetrachtung

Musik & Gefühle: Die Rolle der Gelben Musik

 

Der Faktor Musik erfüllt in unserem GMBM-Projekt die einzigartige Funktion, Gefühle aus ihrem psychischen Innenraum zu befreien und in die Welt hinausführen, in der die Musik zu finden ist. Jede Art von Musik zielt auf ihre emotionale Bedeutsamkeit. Mit der Frage nach der Art der Beziehung zwischen Musik und Gefühl verhält es sich allerdings so ähnlich wie mit den Fragen nach der Beschaffenheit von „Glück“, „Gesundheit“ oder „Harmonie“. Wir sind sicher, dass es eine Antwort gibt, aber dann wird es schwierig.

Wenn Ausgleich und persönliche Besinnung erzeugt werden durch genügenden Abstand zu extremen Grenzen, so scheint das Reich der Mitte der einzige Ort, der dem ruhenden Körper und unseren Gefühls- wie Denkereignissen die bestmögliche Voraussetzung bietet. Ein solcher Bereich ist seltsamerweise die Genre übergreifenden Musik, altmodisch Avantgarde genannt - bei uns heißt sie Gelbe Musik. Und dies bezieht sich nicht nur auf das eigentliche Klangereignis, sondern auch auf das Erzeugen von musikalischen Ereignissen. Seltsam des- halb, bedeutet Avantgarde doch „vor aller Bewegung“. Und dies in einer vergleichsweise unkomfortablen Haltung, nämlich zwischen allen Stühlen und Ohren - und wieder mitten drin im Schlamassel von Normen und Bewertungszwängen. Hier die arrogante Einteilung von „ernst und rein“ auf der einen Seite dort die improvisatorische Verspieltheit bis hin zur musikalischen Anarchie mit ganz viel Krach auf der anderen: Die Musik, die wir in unserem Projekt gemeinsam erzeugen, verfolgt die vollkommen ideologiefreie Vergabe von Tönen - ist weder konservativ, noch fortschrittlich. Wir nehmen auch in der musikalischen Abteilung unseres Projekts nicht teil am Ausverkauf des Unkonventionellen. Es geht ausschließlich um die Musik selbst, das Musizieren, das Hören und den Anspruch der Akteure, sich nicht ins Randständige drängen zu lassen. Im Fokus steht die Förderung einer auf Kultur basierenden Kreativität unserer Projektakteure - ganz persönlich, sozial innovativ und kompetent. Der Weg führt über die Kunst- bzw. Kulturproduktion. In unserem Fall machen wir „nur“ Musik - ein Gemeinschaftsereignis, das auf Verständigung und Wissen und Festigung des sozialen Zusammenhangs zielt. Unser (Projekt)Alltag steckt voller Situationen mit szenischen Eigenschaften, kleinen, bedeutsamen oder unbedeutenden Einheiten unseres alltäglichen Lebens. Auch die Gefühle der Akteure unterscheiden sich danach durch spezifische „Szenarien“. So gehört zum Szenario der Angst Enge und das Bedürfnis aus der Enge auszubrechen, zur Trauer eine bedrückende, beklemmende Schwere, die sich auf den Menschen legt, zur Freude der expansive Bewegungsdrang, der den Raum weitet. Hierbei ist der Symbolcharakter unserer Projektmusiken nicht ohne Einfluss. Es scheint abwegig, wenn jemand bei einem Wiegenlied Angst empfindet und er dies auf Eigenschaften des Wiegenlieds zurückführt. Bedeutsamer schon die Rückbesinnung auf die Gelegenheiten ganz persönlicher Situationen früherer Hörerlebnisse desselben Stücks Musik. Musik kann weh tun, eine Gänsehaut verursachen und unsere Nackenhaare ebenso in Bewegung versetzen wie unsere Finger, unseren Kopf oder unsere Arme und Beine. Unser Körper ist ebenso ein Resonanzkörper für Klänge wie der Körper eines Cellos oder eines Klaviers, wobei der rhythmischen Erzeugung von Klängen eine ganz besonders befreiende Funktion zukommt, indem mehrere Sinnesqualitäten überschritten werden.

Ein neuer Abschnitt

Während sich die CajonAllStars immer noch an ihrem ersten Live-Auftritt erfreuen, haben die Allrounder der Musikgruppe ihre Besetzung um eine Cellistin erweitert und aus der Improvisation ein wiederholbares Stück Musik gemacht. Unterdessen drehen die Radioleute bereits heftig an allen Knöpfen im Studio. Die WorkShops zur Einführung und vor allem die verlässlichen Repetitionseinheiten zur Bewältigung der technischen Ansprüche zeigen jetzt verstärkt Wirkung. Mit vollem Einsatz geht's nun ran an die Inhalte. Für die anstehenden Sendungen werden als Einstieg für die freie Moderation intensiv verschiedene Begrüßungsformen geprobt und Übergänge einstudiert, die bereits eingespielten Interviews noch interessanter aufzubereiten. Die Vermittlung von Wissen und Übungen zur technischen wie auch ersten choreographischen Anwendungen selbst erzeugter Inhalte fordern den jungen Akteuren einiges ab. Gerade das Konzentrationsvermögen ist umso erstaunlicher angesichts der immer noch hohen Abstraktion im Vorgehen, denn die konkreten Inhalte entwickeln sich erst sehr langsam - sie nehmen fortan realistische und auch phantastische Gestalt an im direkten Zusammenspiel der einzelnen Arbeitsgruppen untereinander. Dies ist die neue Qualität dieser aktuellen Phase des Projekts: Es gilt eine Geschichte zu entwerfen, die uns alle angeht und die Akteure genauso betrifft wie die Beobachter unseres Projekts Gelbe Musik+Blaue Monde. 

Body & Soul

Die Probe-Bühne, auf der in kleinen Schritten der Plot für das gemeinsame Hörspiel immer konkreter wird, liegt im Wechselspiel von Körper und Geist, in der eigenen Befindlichkeit und Selbstempfindung - ein intensiver Prozess, hart erarbeitet gemeinsam mit dem Theaterpädagogen in unserem Projekt. Diese Arbeitsgruppen übergreifende Plattform vorzubereiten ist vornehmlich Gegenstand der Arbeit in der HörspielAG. Die Akteure hier sind inhaltlich bereits weiter als die Trommelkünstler und anderen Musiker - auch weiter als die Techniker aus dem Radiobereich. Und doch ist eines allen gemein: das positive Zusammenspiel oder der schmerzende Widerstreit von Körper und Seele. An dieser Stelle werden narrativ erste Geschichtsminiaturen entwickelt, sozusagen assoziativ, indem der Gefühlshorizont als ganz eigene Welt näher betrachtet wird. Von besonderer Bedeutung das Begriffspaar Angst + Glück  - auch und gerade in Bezug auf das körperliche Befinden. Wir erobern fortan - und das ist klar -  unsere blauen Monde im Wechselspiel von Body + Soul.

Die Idee

Wir kommen überein, dass der Körper Gegenstand der Selbstbeobachtung und der Selbstempfindung sein soll. Dem erkrankten Körper zum Beispiel werden "heilende" Verletzungen zugefügt wie durch die Spritze bei der Injektion oder dem Nähen  einer Platzwunde - damit es dem Körper besser geht. Ein neues Angstfeld tut sich auf - vor erneutem Schmerz. Auch dem gesunden Körper soll es gut gehen - noch besser gehen. Wir nehmen Wellness-Angebote in Anspruch, betreiben Körperpflege, Sport usw. Nicht anders die Seele. Auch sie steht unter Druck, dem sie standhalten muss, um nicht zu erkranken - und wenn erkrankt, um zu genesen in einer Umwelt, die dies oft gar nicht zulässt. Wir entdecken unser seelisches Befinden in unterschiedlichen  Gefühlswelten und Rollen vorschreibenden sozialen Gruppen. Und ja: Es geht auch um Macht und Befreiung. Darüber mehr in einigen Wochen ...

Glück + Angst + Mut

Nachdem die jungen Akteure während ihrer Treffen zuvor sich bereits mit Spezialfällen von gefühltem Glück beschäftigt haben, entdecken sie jetzt die eigene Körperlichkeit in einer verkörperten Welt ganz hautnah. Und zwar in Form einer Exkursion auf das höchste Haus der Stadt. Hier befindet sich im 16. Stock eine Aussichtsplattform - wie ein Balkon, einfach an die Häuserwand geklebt, nur ohne Wohnraum dahinter, dafür mit eigener Fahrstuhlstation. (Keine Sorge: Alles nach DIN überaus gut gesichert.)  Cool sagen die einen - wenn das nur gut geht die anderen. Doch jeder hat sich der Situation gestellt - mit mehr oder weniger persönlichem Aufwand. Es geht um Angst, Angst vor der Höhe, Angst den engen Fahrstuhl zu betreten - es ist ein Experiment um die eigene Befindlichkeit unserer seelisch beeinträchtigten Akteure. Nicht unbedingt der Blick nach unten, dafür aber in die Ferne entschädigt allerdings auf ganzer Linie. Am Horizont der Schwarzwald - dahinter das Meer ...

 

 

 

 

Zum Greifen nah

 

 

Keine Chance, den Kopf in den Sand zu stecken. Hier hoch und da runter, der Blick in die Umgebung, in die Ferne, Sicherheit suchend. Das Glück will gegriffen  sein. Glück ist zum Greifen nah. Klar sind wir anders, wollen nicht die Einheitsuniform einer Tarnung tragen. Wir zeigen uns - das kann nicht falsch sein, wenn anders sein nur eine Variante von "richtig" ist. Darauf verständigen sich die Akteure - und auf die Phantasie, Wege für ein Zutrauen zu sich selbst zu finden. Dabei geht es um jeden individuellen Einzelfall - nicht um die Norm. Daraus sind eine Sendung und ein kleines Hörspiel entstanden.

Den Blauen Monden so nah

Was kann ich? Was kann ich ertragen? Was kann mich ertragen? Kulturarbeit ist immer auch Inklusion.  Ohne nachzudenken, suchen unsere Projektakteure einen erweiterten Kulturbegriff, der die künstlerisch/kreative Eigenbetätigung befördert. Um Integration geht es, um spartenübergreifendes Leben. Wir bewegen uns immer weiter - Stillstand hält auf zu leben. Das haben unsere Hörspielakteure erarbeitet und erkannt. Das Projekt fügt sich in allen Gruppen. Sie sind jetzt ganz nah an den Blauen Monden! Wir spüren so etwas wie Glück - und das klingt wie ein befreiendes Lachen.

Gesehen und gehört - Flohmarktgetöse

Die Kennzeichnung einer inklusiven besseren Welt lässt sich kaum treffender ausdrücken als mit der Aufforderung, nicht nur dabei zu sein, sondern mit zu gestalten. Dies trifft gerade für  die Kultur zu. Es geht um aktive Teilhabe - es geht um echte Transformation von Selbstverständlichkeit im respektvollen Miteinander. Um dies zu erproben, gingen unsere Akteure in eine fremde Menschenmenge. Das kostete die meisten eine ganz große Überwindung, gehört Sozialphobie doch zu den Kennzeichen der Beschwerlichkeiten in unserem Projekt. Doch die Teilnehmer sind bereits gestärkt durch den Projektverlauf - allen voran die Trommler. Sie zeigen sich und werden gehört. Die Cajon-Gruppe der GMBM hält lässig den Herausforderungen der inklusiven kulturellen Bildung stand. Sie stellt sich und ihren künstlerischen Ausdruck voller Selbstbewusstsein der Betrachtung fremder Menschen in großer Anzahl. Unsere Akteure mischen sich unter das Stadtfesttreiben und mit ihrer Gelben Musik den Flohmarkt so richtig auf. Das hat diese Stadt noch nicht erlebt. An diesem Nachmittag fand echte gesellschaftliche Teilhabe statt - und beileibe nicht beschränkt auf Sozialarbeit mit künstlerischen Mitteln. Die Stadt als Erlebnisraum eines intensiven Selbstversuches - Inklusion verändert Kommunikation, Interaktion und Methode.

Ist Trommeln nur Trommeln?

Trommeln ist wohl die Wiege der Musik. Ausgehend von der Idee, dass wir im Mutterleib den Herzschlag und Puls als eines der ersten Dinge wahrnehmen, wird dies, sobald wir nach der Geburt etwas hören, uns intuitiv das Gefühl von natürlicher Vertrautheit spürbar machen.

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass die meisten Menschen universal auf Rhythmen unbewusst reagieren. Das daraus resultierende Erlebnis, welches sich in einer Gruppe verstärkt, ist meistens positiv und gibt uns ein Stück Urvertrauen zurück. Darüber hinaus ist Rhythmus eine Art wiederkehrende Ordnung, die uns gerade in unsicheren Zeiten oder Lebenslagen Sicherheit bieten kann.

 

1 + 1 = 3

 

Das kollektive Erleben von rhythmischen Impulsen schafft ein Gemeinschaftsgefühl, ohne eine kognitive Vorarbeit leisten zu müssen. Rhythmus ist ursprünglich und natürlich zugleich und überwindet Kulturen sowie verbale Sprachen. 

Wie wunderbar kann so ein Miteinander im Verstehen sein: Rhythmus als universale Sprache, in der es kaum Missverständliches gibt, da ihr Ursprung, wie oben erwähnt ein Erlebnis ist, welches alle Menschen während ihre embryonalen Phase teilen.

So wird aus 1+1=3.

 

 

 

Eine neue Sprache

Allein die Dichte der Projektereignisse zeigt es an: Wir sind längst im letzten Drittel unserer Gelben Musik+Blauen Monde angekommen. Die Akteure bewegen sich viel sicherer auf dem Parcour erwarteter und unerwarterer Konfrontationen . Die Außenkontakte sind intensiver geworden - weit und breit kein Schutzraum in Sicht - und es funktioniert trotzdem. Thematisch sind Trauer wie Mut, aber auch Wut gewichen dem neuen Bewusstsein von Selbstwirksamkeit, von Zusammengehörigkeit. Da fallen schon mal auf dem Weg zu einem Blauen Mond in der Innenstadt, dem Hochhaus mit seiner Plattform am Ende der Fahrstuhlstrecke, ganz neue Töne und Kommentare wie zum Beispiel "wir gehen jetzt auf der Straße wie eine Gang". Das ist nicht nur cool, das ist wirklich eine starke Entdeckung - eine ganz neue Selbstwahrnehmung, die auch noch eine Wirkung nach Außen hat: Wir sind nicht allein, wir sind eine Gruppe unter anderen - nicht mehr allein in unserem etwas Anderssein. Kein Verstellen mehr. Das kann es so geben - das gibt es ab sofort. So nehmen sich die Akteure jetzt wahr. Ein phantastischer Höhepunkt für uns alle. Und wenn's doch mal dem einen oder anderen die Sprache verschlägt, gibt es immer noch "die Kiste": Die Cajon-Akteure  haben eine neue Sprache erlernt - das Trommeln ist universell.

Besuch von der Küste

Nach den Innenstadt-Interventionen hat sich Besuch von unseren Freunden aus Husum angekündigt - den Husfunkern vom Inklusionsradio im nördlichsten Bundesland Nordfriesland. Das Besondere an der Küste dort ist, dass den Akteuren beim HusFunk ihre Tätigkeit als Beruf anerkannt ist. Es ist mithin ihre angestammte tagtägliche Aufgabe, Inklusionsradio zu machen mit eigener Studioausrüstung, Schallarchiv, Redaktion und Arbeitsadresse und fester Arbeitszeit. Für den Besuch bei unseren Akteuren im KulturBahnhof ist dann der "Laden" daheim doch kurzerhand für einen Tag geschlossen worden. In diesem Fall lohnt es wirklich.

Eine wilde Horde sympathischer Nordlichter enterte  wie selbstverständlich die Projekträume bis in die letzten Winkel. Eine echte Herausforderung für unsere Akteure, unerwartete Abwechslung, an Hektik und Lautstärke, auch an körperlicher Nähe. Ruhe kehrt erst ein, als der Pizzabäcker die Scheiben bringt.  Das tut richtig gut, diese gute Laune und Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander. Großes Kennenlern-Hallo, SpeedDating, gegenseitige Interviews und auch auf die Trommeln setzen samt Schnellkurs in Schlagtechnik und Rhthmus. Selbst unsere Sozialphobiker spielen da  locker mit, sind längst angekommen in unseren Aktionsräumen als Zuhause - und sind schließlich Mitglied einer eingeschworenen Gang. Super dieser Blaue Mond. Gleich ran an die Planung der gemeinsamen Projektsendung - die HusFunker sind da alte Hasen.

GMBM+HusFunk Ausschnitt
SendeAusschnitt.mp3
MP3-Audiodatei [17.0 MB]

Projektabschluss in Husum

Letzter Höhepunkt am Ende des Projektes die gemeinsame Fahrt nach Husum, der Gegenbesuch zu den HusFunkern. Mit über 20 Teilnehmern im überfüllten Sylt-Shuttle von Itzehoe nach Husum zu fahren, ist trotz sorgfältiger Vorbereitung für alle eine große Herausforderung, aber die Teilnehmer sind überaus fröhlich und meistertn die unvorhersehbaren Probleme mit so viel Humor - einer neuen Stufe an Gelassenheit und Vertrauen zueinander und zu den eigenen neu gewonnenen Fähigkeiten.

 

Der Empfang durch unsere Gastgeber bei den Husumer Werkstätten war überaus herzlich. Da wir an diesem „Tag der offenen Tür“ auf eine große Besuchermenge stoßen werden, ist auch für unsere Teamleiter ein gewisser Stressfaktor erreicht. Und wieder sind die Cajons das Zaubermittel: die erste Probe mit unseren Gastgebern gemeinsam an den Instrumenten, dann der gemeinschaftliche Auftritt auf der Musik-Bühne vor fremdem Publikum. Große Harmonie auch in diesmal wieder in dieser Kombination dank Martins Animateursfähigkeiten ganz hervorragend - Freude und Zufriedenheit unter Freunden. Der Abschluss im HusFunk-Studio mit Interviews und Erlebnis-Austausch festigt das Bewusstsein: GMBM hat auch heute etwas Besonderes in die gesamte Gruppe hineingepflanzt – eine neue Form von Glücksgefühlen. Schweigsame und lächelnde Gesichter auf der entspannten Rückfahrt im Zug erzählen davon.

GMBM für den BKM-Preis vorgeschlagen

Jetzt ist sie fertig, die Broschüre zu unserem Projekt „Gelbe Musik und Blaue Monde“ (GMBM). 68 Seiten zu Ablauf und Entwicklung, Höhepunkten und Schwierigkeiten, die es zu überwinden galt, und vieles mehr. Eine CD mit dem gemeinsamen Hörspiel liegt ebenfalls bei. Zu unserer großen Freude ist das Projekt jetzt der Staatsministerin des Bundes für Kultur und Medien, Monika Grütters, für den diesjährigen BKM-Preis vorgeschlagen worden.

Die Dokumentation ist kostenfrei erhältlich in der Stadtbibliothek, in der Tourist-Information, im Gesundheitsamt und natürlich vor Ort im KulturBahnhof Viktoria.

 

GMBM Doku.pdf
PDF-Dokument [1.8 MB]

Impressionen von Till Lassmann

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